Soziale Selbsthilfe. Nur für dich.

Ja, die Selbsterkenntnis. Es ist ja nicht so, dass ich mich deswegen dauernd beschweren würde. Nein nein, ganz im Gegenteil! Zu wissen wie man tickt und wie man auf sein Umfeld wirkt, ist ja ungemein entspannend!  Ich weiß in jeder Situation, wirklich in jeder, was ich tun muss, damit alles reibungslos abläuft. Beispiel: wenn ich in ein Lokal gehe, setze ich mich sofort auf einen einsamen Barhocker im Dunkeln oder dorthin, wo die Musik am lautesten ist. So fühlt sich niemand genötigt, mit mir ein Gespräch anzufangen. Oder bei Parties… ich stell den Fernseher an und setz mich davor. Aus reiner Höflichkeit! Auf der Straße lasse ich meinen Blick stets in die Ferne schweifen. Aus zwei Gründen: erstens gebe ich damit Menschen, die versehentlich in meine Nähe gelaufen sind, die Chance, noch rechtzeitig das Weite zu suchen. Und zweitens erkenne ich schon frühzeitig, ob mir bekannte Gesichter entgegen zu kommen drohen. Nur um sofort die Straßenseite zu wechseln oder in einen Hauseingang zu verschwinden. Als Mitfahrer setze ich mich – besonders, wenn außer mir nur noch der Fahrer anwesend ist – genau hinter den Fahrersitz und positioniere meine Augen so, dass er, der Fahrer, mit mir weder über Rück- noch Seitenspiegel Kontakt aufnehmen kann. So sind alle am glücklichsten! Ich verwende auch Fahrstühle und Rolltreppen nur, wenn diese menschenleer sind. Ansonsten immer über die Stiegen, in einem Tempo, das sich von allen anderen unterscheidet. Im Supermarkt beginne ich meine Runde immer bei der Kassa. Wenn ich blogge, dann nur dort, wo es keine Leser gibt. Und so weiter und so fort… du verstehst schon. Ich bin hochempathischer Soziapath! All das tue ich nur für dich!

Ich aas:
1 Brot mit Salami und Weichkäse
1 Kronprinz Rudolf (herrlich!)

Selbsterkenntnis

Die weiße Anstalt will allen Kunden eine Weihnachtskarte mit einem Foto der Belegschaft schicken. Hmpf! Haha! (Ich lache und klatsche mir mit der flachen Hand so auf das Gesicht als hätte mir jemand eine aufgedröselte Bananenschale draufgeworfen.)
Das letzte Jahr bin ich ja davongekommen. Da war ich beim Fototermin zufällig… grade auf Rauchpause… irgendwo anders. Für die Unterschrift, die ein paar Tage später jeder Mitarbeiter auf alle fünfzig Karten kritzeln musste, hatte ich eine hervorragende, ja geradezu ideale Lösung. Ich schrieb nicht Matla, sondern Leckmi. Sieht im Unterschriftenstil genauso aus wie Matla. Drückt aber eher das aus, was ich empfinde.
Weil ich aber kein Unmensch bin – Weihnachten ist ja das Fest der Wirtschaft und von der hängt unser aller Arsch ab – werde ich noch einmal an die Intelligenz der Geschäftsführung appellieren: Gebt mich niemals auf ein Foto! Niemals! Zeigt niemandem, dass ich mit eurer Firma irgendetwas zu tun habe! Tut das nicht!
Ich weiß ja, warum… ich bin da ganz realistisch und brauche mir nichts schön reden. Wer mich sieht, denkt zu allererst, dass er mir eine betonieren muss. Ist so. Ist schlicht und einfach die natürliche Reaktion aller Menschen auf mein Erscheinungsbild. Und das war schon immer so. Es gibt ein Foto meiner Eltern mit mir in ihren Armen, gleich nach der Geburt im Krankenhaus. Noch nie habe ich enttäuschtere Gesichter gesehen. In der Schule der Klassiker. Immer der letzte, der in eine Mannschaft gewählt wurde. Wer mich sieht, weiß, dass man mit mir nichts gewinnt. Keine Spiele, keine Kunden, kein Geld. Alles, was man von mir ernten wird, ist bittere Enttäuschung. Niemals werden Erwartungen erfüllt. Niederlagen ohne Ende. Leid, nie enden wollender Kummer. Immer der, der niemals eingeladen wird, mit dem niemals jemand freiwillig ein Gespräch sucht.
So ist das.

Ich aas:
1 Knacker

Gehirndiktat

Mein Gehirn arbeitet wie ein Computer. Schnell und effizient. Leider hat dieser Computer sehr wenig Speicher. Um effizient zu bleiben, muss ich damit haushalten. Alles, was nicht direkt fürs Überleben notwendig ist, wird für immer gelöscht. Habe dir ja schon öfters von meinem tollen Gehirnfilter erzählt: ich gehe herum und nehme nur die essentiellen Dinge wahr. Ganz automatisch. Gehsteig, Ampel, gegnerische Verkehrsteilnehmer, Himmelsrichtungen, Sonnenstand. Nicht aber Männer, hässliche Frauen, Kinder und Tiere. Sag mir deinen Namen – er ist sofort vergessen. Ist praktisch. Ja! Bei Massenaufläufen, in der Arbeit. Überall eigentlich.
Dieser Filter hat jedoch seinen Preis. Am Wochenende wurde mir das erneut schmerzlichst… ja… buchstäblich vor Augen geführt. Irgendein lästiger Teil meines Gehirns nimmt die bewusst gefilterten Ereignisse des Tages doch unbewusst auf und – leider – in der Nacht werden diese Ereignisse während des Löschvorgangs nochmals wie ein Film abgespielt.
War am Samstag bei einer Veranstaltung in einer viel zu kleinen Örtlichkeit mit zu vielen Menschen. Von denen mir viel zu viele auch noch zu bekannt waren. Schon lange nicht mehr wurde mein Gehirnfiltersystem dermaßen beansprucht! Und glaub mir eines! Der Schlaf danach war die Hölle! Mehr ein Halbschlaf, in dem ich vor mich hin delirierte. Die Augen geschlossen und dennoch graue, gesichtslose Gestalten vor mir, die alle gleichzeitig auf mich einredeten. Ganz so wie es Menschen tun! Nur… was sie sagten, ergab keinen Sinn. Es klang wie Sinn, ergab jedoch keinen. Es waren nur Silben, durcheinander gewürfelt, ohne Bedeutung! Manchmal, wenn eine Gestalt eine freundliche, bräunliche Farbe annahm, gab ich mir Mühe, die Wörter zu verstehen. Keine Chance. Wollte sie anschreien. Geht weg! Geht weg!
Tja, ich gab auf und ließ es über mich ergehen.

Und – seltsam genug – jetzt erst erinnert mich das an die geniale „deutsche“ Ansprache des großen Diktators Charly Chaplin

Ich aas:
1 Topaz mit 2 Kaffee

Sinnkarenz

Also wegen Helga. Der Papierkram für die frühzeitige Entlassung war recht schnell erledigt. Der zuständige Arzt rief uns beim Abschied noch nach:
„Frau Helga! Sie wissen eh: Alkohol- und Nikotinkarenz!“
Als ich das hörte, blickte ich voll Bewunderung, aber doch auch mit etwas Neid, auf Helga. Wow! Alkoholkarenz, Nikotenkarenz! Himmel! Was muss man tun, um das verschrieben zu bekommen? Ich erinnere mich genau, wie mir ein Bekannter erzählte, wie er um seine Bildungskarenz kämpfen musste!
Doch Moment! Dann überlegte ich mir, wird wohl eher genau das Gegenteil bedeuten. Alkohol- und Nikotinkarenz heißt wahrscheinlich eben genau kein Alkohol und keine Tschick mehr! Und dann fiel mir ein, dass dieser Bekannte seine Bildungskarenz bewilligt bekommen hat und nachher eigentlich auch viel dümmer war als vorher.
Dies ging mir durch den Kopf als ich mit Helga das beschissene Krankenhaus verließ.

Ich aas:
1 Semmerl mit Schinken, Gouda und Eier
1 Apfel Kronprinz Rudolf (endlich wieder verfügbar!)

Antimaterierückstände

Jaja. Jeder weiß, dass ich ein alter Star Trek-Kommunist bin. Und wer das weiß, weiß auch, dass letzte Woche die neue Star Trek-Serie „Star Trek Discovery“ angelaufen ist und dass jede Woche eine neue Folge erscheint! Das bringt mich ganz schön in Stress, denn das sind natürlich Pflichttermine… und mit Pflichtterminen habe ich… schlicht und einfach… ein Problem. Zum Glück habe ich jede Woche nur diesen einen Pflichttermin… jetzt geht das eh ganz gut. Denn so läuft in meinem Kopf die ganze Woche ein einziger Countdown… und all meine Gedanken sind auf diesen einen Termin konzentriert.
Das Schöne ist, da verändert sich die ganze Welt rund um dich! Da werden die Protonenpumpenhemmer (du weißt schon, die Magenschutztabletten) plötzlich zur Ladehemmung bei den Photonentorpedos… da gibt’s bei den Ladepumpen Probleme! Die Inhaltsstoffe des grünen Smoothies werden zu Rückständen des Antimaterieantriebes – ja, die Antioxidantien bleiben über – Sondermüll! Die EKG, wenn die Haare drauf hätte, dann wäre sie ein Tribble und ich könnte sie endlich so liebkosen wie sie es verdiente!

Ich aas:
1 Tribble
1 Antimaterieantriebsrückstand

Helgas Schläuche

Aber eigentlich waren wir ja bei Helga. Lass mich das kurz fertig erzählen.

Ich saß also in meinem Frust in der Scheißkrankenhauskantine, als plötzlich Helga mir gegenüber Platz nahm und sagte:
„Matla, du musst mich hier rausholen.“
Ich blickte sie stumm an… weißt du, ich tu mir in solchen Situationen so schwer… wenn ich beim Brandinesa auf Helga getroffen wäre, passt! Da gehört sie hin! Wie’s Eiter ins Wimmerl. Wenn ich aber Leute in ganz anderen Umgebungen treffe, dauert es dermaßen lange, bis ich verstehe, was passiert… das geht sogar so weit, dass ich Menschen nur dort wieder erkenne, wo ich sie kennengelernt habe.
Als mein Gehirn also endlich Helga erkannt hatte, wollte ich schon instinktiv nach dem Wirt schreien, weil am Tisch keine Getränke standen… aber wir waren ja in der Krankenhauskantine.  Helga selbst sah etwas mitgenommen aus. Ja, die aufgedunsene, rote Nase, die leicht herabhängende Unterlippe und das schüttere Haar… alles wie immer. Nur… die beiden Schläuche, die aus Hals und Schulter ragten und in einem kleinen Gerät zusammenliefen, das Helga umgehängt hatte, die waren neu.
„Woraus genau soll ich dich holen?“, fragte ich Helga.
„Aus dem Krankenhaus. Ich darf raus, wenn ich eine Begleitperson habe.“
„Was ist mit den ganzen Schläuchen, die aus deinem Körper hängen? Die werden ja wohl hier bleiben oder?“
„Matla, die kommen mit! Die leiten irgendeine Flüssigkeit ab und wenn ich auf dem Kasten hier auf diese Taste drücke, fließt Schmerzmittel in die Schulter. Es ist so leiwand!“
Hm, ok. Helga erklärte mir noch mehr… ich verstand zwar nicht genau, warum Helga mit Schläuchen in der Schulter herumlief, aber letztlich schien mir alles reichlich plausibel zu sein.
„Ja, gut“, sagte ich, „wo muss ich unterschreiben?“

Ich aas:
1 Teller Spaghetti Bolognese, die irgendwer in der weißen Anstalt übrig gelassen hat

Kulturesser

War heute beim Chinesen Essen holen. Finde das ja faszinierend, das chinesische Essen. Die Zutaten, eigentlich bekannt, aber schmecken tut’s doch ziemlich fremd.
Als ich so mit dem Essen im Sackerl schon wieder Richtung weißer Anstalt latschte, kamen mir allerhand Gedanken. Warum schmeckt das chinesische Essen nun wirklich derart seltsam? Bedeutet das Wort „Huhn“ in der Speisekarte etwa gar nicht das deutsche Wort für Huhn? Könnte ja genauso gut chinesisch sein. Zum Beispiel: Kim Jong Huhn. Wenn „Huhn“ nun wirklich Hendl bedeutet, wie sehen die chinesischen Hühner dann aus? Haben die kurze, kleine Stupsschnäbel und Schlitzaugen? Oder bedeutet das chinesische Wort „Huhn“ etwa doch das, wonach es eigentlich schmeckt? Nämlich „Schneckenarsch“?
Während ich solch grundsätzliche Probleme in meinem Gehirn erörterte, erreichte ich das Gebäude vor der weißen Anstalt. Da gibt es im Erdgeschoß hinter einem riesigen, ungetönten Fenster ein Büro, in dem jeden Tag so kleines asiatisches Würstchen sitzt und sich zu Tode langweilt. Gähnt, scrollt auf seinem Handy herum, kämpft gegen den Schlaf. Genau da blieb ich eine zeit lang stehen und beobachtete ihn. Vielleicht würde ich ja aus ihm schlau werden… die chinesische Küche und Kultur zu verstehen beginnen. Als ich jedoch sah, wie er sich einen gewaltigen Rawuzer aus der Nase holte und der auch noch Ähnlichkeiten mit meinem Essen hatte, ging ich erleichtert weiter. Nun schien sich der Kreis zu schließen.

Ich aas dennoch:
1 Plastikbehälter mit chinesischem Essen (und es war kein Nasi Goreng!)

Montäääh

Die Tür in der weißen Anstalt flog auf, eine Frau mit roten Zöpfen stand in der Tür und sagte:
„Äääh…“
Langsam neigte ich den Kopf zur Seite und hob wortlos meine Augenbrauen.
„Äääh, wo warst du?“, fragte mich die Frau und setzte sich mir gegenüber.
Ich war mit der Situation etwas überfordert. Montag. Morgen. Und sagte deshalb… nichts.
„Äääh, hast du deine Zunge verschluckt?“
„Wer sind Sie?“ Vorsichtiges Vortasten.
„Äääh, deine Kollegin?“ Eine Frage als Antwort.
„Ich habe Sie aber das letzte halbe Jahr kein einziges Mal gesehen“, sagte ich.
„Äääh, weil du nie hier warst?“ Noch eine Frage als Antwort.
Bevor ich noch was sagen konnte, sprang wieder die Tür auf. Ein Mann.
„Oooh!“, sagte er, als er die Frau sah.
„Äääh“, antwortete sie.
Dann sah er mich an und:
„Uiuiui!“
„Pfffff“, gab ich zurück.

Und irgendwann wird auch dieser Montag vorbei sein.

Ich aas:
1EKG
1 Nektarine

Reh-A Suppe

Reh-A von Johannes

Danke, Johannes! Danke für dieses sehr aussagekräftige Endzeitbild zum Thema Reha. Es macht mich sehr glücklich, denn es drückt schön die dazu passende Untergangsstimmung aus. Das Reh, wie es da steht und dem Tode ins Auge blickt. Dem Tod, der überall lauert… im Gras und im See… und um nichts weniger auch in Buchstaben.

Die Nachbarin übrigens hat die Reha beendet. Mich macht das ganz nervös, weil ich jetzt nicht weiß, wo ich tagsüber hin soll… sie stellt ja alles auf den Kopf und löchert mich noch dazu unablässig mit Fragen: „Warum stellst du die leeren Flaschen aufs Fensterbrett? Warum stellst du die vollen Müllsäcke alle ins Vorzimmer? Warum liegt am Boden deine dreckige Wäsche? Warum baust du mit schmutzigen Häferln Türme im Waschbecken?“ Und so weiter. Die ganze Zeit geht das so. Seltsamerweise suche ich jedes Mal, wenn sie mir so eine Frage stellt, nach einer Antwort. Es gibt ja genug Gründe, warum ich so handle… naja, im Grunde ist der einzige Grund der, dass ich Dinge, die sich nicht bewegen, einfach nicht wahrnehme. Das ist mein Jagdinstinkt. Angeboren. Steckt einfach in mir drin.  Aber die Nachbarin erwartet gar keine Antworten. Nein, sie erwartet sich eine Art Zeitreise! Von mir! Sie will, dass ich sofort aufspringe und alles so abändere, dass ihre Frage einfach nie gestellt werden hätte müssen!

Außerdem… sie kocht ständig. Darum aas ich heute:

1 Suppe

 

Kantinische Dualität

Die ersten Wochen verbrachte ich ja hauptsächlich nur im Krankenhaus, nachdem das mit der Nachbarin passiert war. Manchmal, um mit meiner Hilflosigkeit und meiner Verzweiflung nicht ganz alleine dazustehen, hockte ich mich in die Krankenhauskantine und trank irgendwelche picksüße Getränke, die ich mit meinem Flachmann geistig aufwertete.
Die Leute mit ihren aschfahlen Gesichtern zu beobachten, war aber leider nie so lange interessant wie ich hoffte. Auch hier erkannte man recht schnell die zwei klassischen Kategorien von Menschen: die, die sich schon aufgegeben hatten und die, die noch weitermachen. Die einen ließen sich von den Pflegern nur noch mit heraushängender Zunge und verdrehten Augen im Rollstuhl von einem Tisch zum anderen schieben, die anderen kämpften sich selbst auf Krücken Schritt für Schritt vorwärts. Die einen standen mit ihren Beatmungsmaschinen vor der Tür und rauchten, die anderen saßen zitternd und schwitzend bei ihren Tees. Diese abstoßende Widerwärtigkeit der Menschheit schien mir hier im Krankenhaus besonders deutlich zu sein.
Eines Tages setzte sich jemand an meinen Tisch… ich nahm das nicht sofort wahr, denn ich war viel zu sehr mit Realitätsverweigerung beschäftigt. Nach ein paar Sätzen wurde mir schließlich doch bewusst, dass mir gegenüber Helga saß.  Helga, ich kannte sie vom Brandinesa.
„Matla, du musst mich hier rausholen“, flüsterte sie mir zu.

Ich aas:
1 Kornspitz mit Satanszunge