Gehirndiktat

Mein Gehirn arbeitet wie ein Computer. Schnell und effizient. Leider hat dieser Computer sehr wenig Speicher. Um effizient zu bleiben, muss ich damit haushalten. Alles, was nicht direkt fürs Überleben notwendig ist, wird für immer gelöscht. Habe dir ja schon öfters von meinem tollen Gehirnfilter erzählt: ich gehe herum und nehme nur die essentiellen Dinge wahr. Ganz automatisch. Gehsteig, Ampel, gegnerische Verkehrsteilnehmer, Himmelsrichtungen, Sonnenstand. Nicht aber Männer, hässliche Frauen, Kinder und Tiere. Sag mir deinen Namen – er ist sofort vergessen. Ist praktisch. Ja! Bei Massenaufläufen, in der Arbeit. Überall eigentlich.
Dieser Filter hat jedoch seinen Preis. Am Wochenende wurde mir das erneut schmerzlichst… ja… buchstäblich vor Augen geführt. Irgendein lästiger Teil meines Gehirns nimmt die bewusst gefilterten Ereignisse des Tages doch unbewusst auf und – leider – in der Nacht werden diese Ereignisse während des Löschvorgangs nochmals wie ein Film abgespielt.
War am Samstag bei einer Veranstaltung in einer viel zu kleinen Örtlichkeit mit zu vielen Menschen. Von denen mir viel zu viele auch noch zu bekannt waren. Schon lange nicht mehr wurde mein Gehirnfiltersystem dermaßen beansprucht! Und glaub mir eines! Der Schlaf danach war die Hölle! Mehr ein Halbschlaf, in dem ich vor mich hin delirierte. Die Augen geschlossen und dennoch graue, gesichtslose Gestalten vor mir, die alle gleichzeitig auf mich einredeten. Ganz so wie es Menschen tun! Nur… was sie sagten, ergab keinen Sinn. Es klang wie Sinn, ergab jedoch keinen. Es waren nur Silben, durcheinander gewürfelt, ohne Bedeutung! Manchmal, wenn eine Gestalt eine freundliche, bräunliche Farbe annahm, gab ich mir Mühe, die Wörter zu verstehen. Keine Chance. Wollte sie anschreien. Geht weg! Geht weg!
Tja, ich gab auf und ließ es über mich ergehen.

Und – seltsam genug – jetzt erst erinnert mich das an die geniale „deutsche“ Ansprache des großen Diktators Charly Chaplin

Ich aas:
1 Topaz mit 2 Kaffee

Sport in der Closchüssel

So eine Beziehung zu seinen Schuhen muss reifen. Das geht nicht von heute auf morgen, einfach so, „schnipp!“ und man hat die neuen Treter akzeptiert, wie eine zweite Haut. Nein! Das musst du langsam angehen, mit Gefühl und Gespür.
Nach dem ersten Tag mit meinen neuen Sportschuhen, bin ich mit ihnen zuerst auf den Balkon eine rauchen gegangen. Schön gemütlich, habe dann draußen die Zehen eingerollt und wieder gespreizt, um mich in die ungewohnte Umgebung einzuleben. Habe mich von den Fußspitzen auf die Fersen abrollen lassen, bin auf den Fußkanten gestanden, dann wieder auf der ganzen Sohle, machte mir Gedanken darüber, ob ich nicht doch auch Socken tragen sollte und wenn ja, welche. Nylon, Baumwolle, weiß, schwarz, rot? Oder gelb?
Nach der Tschick habe ich meine neuen Sportschuhe wieder vorsichtig ausgezogen, die Schuhbänder glatt gestreift und sorgfältig eingerollt, und sie dann ins Regal gestellt. Danach bin ich noch ein paar Minuten vor ihnen stehen geblieben und habe mir vorgestellt, was sich wohl die Leute denken werden, wenn sie mich in diesen Schuhen auf der Straße sehen.
Ziemlich genau vierundzwanzig Stunden später habe ich meine neuen Sportschuhe dann zum ersten Mal auf die Straße gelassen. Schritt für Schritt bin ich mit ihnen um den Häuserblock gegangen. Habe dabei immer die Mimik und Gestik der entgegenkommenden Menschen beobachtet, um zu sehen, wie die neuen Schuhe ankommen. Die meisten reagierten angemessen respektvoll und zurückhaltend, sehr gut. Sehr oft musste ich mich jedoch über die Verunreinigungen des Gehsteigs ärgern. Was da alles an grindigem Auswurf der Menschheit herumliegt! Nicht nur einmal war ich genötigt, irre Haken zu schlagen, um Exkrementen und Sekreten auszuweichen! E-k-e-l-h-a-f-t! Wie kann diese Closchüssel von Wien nur zur lebenswertesten Stadt gewählt werden!
Letztendlich ging der Ausflug aber doch gut zu Ende. Meine neuen Sportschuhe und ich kamen heil und einigermaßen sauber, aber desillusioniert, nach Hause.

Ich aas:
2 Brot
2 Fetzen Extrawurst vom Kranzl

Männerbummel

Ich bin noch immer vom Wochenende erledigt. Komm‘ einfach nicht auf Touren. Gestern in der Anstalt sagte ich zu einem: „Hearst, hau ma bitte ane in de Goschn, damit i munta wia.“

Ja, das Wochenende. Habe mich von der Nachbarin wieder zu einem Bummel durch die Mariahilferstrasse überreden lassen… rückblickend gesehen, war es nicht schlecht… obwohl die Stimmung der Nachbarin nicht gerade die Beste war.
Wie durch ein Wunder war ich beim Einkaufsbummel sehr geduldig – das könnte eventuell mit meinem kontinuierlichen Drogenkonsum zu tun haben. Ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich, während die Nachbarin in den Kaufhäusern ewig lang irgendwelche Kleidungsstücke durchsuchte, mit hängenden Schultern einfach nur in der Gegend herumstand und sinnlos „Dinge“ anstarrte. Z.B. Probiersocken, Babyschuhe, die Nippel von kopflosen Kleiderpuppen, Hosenträger, leere Schuhschachteln, meine Gürtelschnalle im Spiegel und sowas. Die Nachbarin brauchte mich nur von Laden zu Laden schieben. Irgendwann fand ich mich auf einem Stuhl im Freien wieder. Kaffeepause. Die Nachbarin saß mir gegenüber und beobachtete mit gerunzelte Stirn die Lemminge, die am Gehsteig hin und her rannten. Sie machte einen tiefen Lungenzug von ihrer Tschick und fragte mich dann:
„Hast du die Typen gesehen, Matla?“
„Was?“
„Die Typen! Hast du die gesehen? Und da! Die beiden da auch! Schau mal! Siehst du die?“
„Was is?“
„Fällt dir dabei gar nichts auf? Und der da! Schau! Matla! Schau!“ Die Nachbarin wurde immer lauter.
„Tschuldige, aber ich sehe nur unklare Farbflecken vor meinen Augen wandeln.“
Die Nachbarin tat so, als hätte sie mich nicht gehört.
„Hier laufen doch nur Waserln herum, Matla! Da schau! Noch so ein Hosenscheißer! Wo sind hier die echten Männer?“
„Welche Männer? Wovon sprichst du?“ Wenn die Nachbarin mit solchen Sachen begann, verstand ich kein Wort. Ich bestellte zum Kaffee ein Vierterl Rotwein, die Nachbarin nur Rotwein.
„Sieh nur, wie sie gekleidet sind, wie sie sich verhalten! Wie sie sprechen! Ihre Piepsstimmen! Das gibt’s ja nicht! Ist das noch normal? Haben die überhaupt Eier? Weißt du, früher, da hatten die Männer noch Eier! Und schau, was die Schlampen neben uns essen! Salat! Die Weiber heute sind auch schon für’n Arsch!“ Während die Nachbarin immer lauter wurde und sich furchtbar über alles mögliche aufregte, musste ich grinsen. Inzwischen hatten wir die finsteren Blicke aller uns umgebenden Menschen auf uns gezogen.
„Hast du deine Tage?“ (Schwerer Fehler.)
„Du bist auch so ein verblödetes Arschloch!“, brüllte sie, sprang auf, schleuderte mir ihre Handtasche um die Ohren und rannte davon. Ich blieb noch eine Weile, trank alles aus und wankte dann nach Hause.

Wer weiß schon, wie es weitergeht. Ich aas:
Marillen – und zwar schon den zweiten Tag, aus einer Kiste heraus. Ich scheiße inzwischen wie ein Miststreuer!

Die schnelle und die langsame Schlange

Wenn ich mal zur Stoßzeit in die Anstalt muss, gehe ich lieber zu Fuß. Da sind alle Menschen in Autos, Straßen- und U-Bahnen zusammengepfercht und die Gehsteige sind leer. Das ist gut für mich und mein Seelenheil.
Als ich letztens grade die Anstalt erreiche, kommt auch die Strassenbahn zur Haltestelle rein und presst die Leute raus – mir kommt das immer wie Stuhlgang bei Verstopfung vor. Da bildeten die Lemminge vor mir zwei Reihen. Die auf der linken Seite des Gehsteiges, die eigentlich ein Fahrradweg ist, war voll von den Typen, die in die Bürogebäude auf der anderen Strassenseite liefen – meine Anstalt ist auch dort. In der rechten Reihe latschten die entlang, die zum AMS vor mussten. Die Arbeitslosen, du weißt schon. Schon seltsam. Die Reihe der Bürohengste war wesentlich schneller, die Leute auch sehr viel größer und dünner. Die AMS-Reihe dagegen zog wie eine Horde von Pinguinen dahin. Die watschelten mit ihren Plattfüßen und dicken Ärschen ziemlich armselig die Strasse entlang. Automatisch hatte ich mich rechts gehalten, doch überlegte ich kurz, ob ich die Seite wechseln sollte. Auf die schnelle Seite, die sportliche. Aber ich ließ es. Hatte dann doch zuviel Angst von einem Handytelefonierer überrannt zu werden.

Heute sieht es traurig aus in meinem Kühlschrank. Bin daher rauf zur Nachbarin. Da fand ich aber auch nur das, was ich vielleicht doch noch aas:
1 Kübel mit altem Obst – bereits sehr nach Kompost riechend.

 

Der Tod und die Zwiebelsuppe

Um halb drei Uhr morgens wars, als es läutete und klopfte. Wankend stolperte ich zur Haustür. Es klang als wollte Kerberus persönlich meine Bude stürmen. Es war die Nachbarin, sie zitterte am ganzen Körper.
„Was ist los?“, fragte ich.
„B-b-b-b-itte Matla, ich hab es gesehen“, wimmerte sie.
Das Licht am Gang ging aus, es war dunkel.
„Komm rein.“ Ich lotste sie zu meinem Stuhl.
„Ich hab es gesehen!“
„Was hast du gesehen?“ Ich zündete zwei Zigaretten an, gab ihr eine davon.
„Das X auf der Strasse! Matla! Das X!“ Ihr Blick war irre.
„Weiß nicht, was du meinst.“
„Das X, das die Polizei auf die Strasse malt, wenn ich aus dem Fenster gesprungen bin! Wenn sie mich vom Gehsteig runtergekratzt haben!“
„Shit!“, antwortete ich und schenkte ihr einen Becher Rotwein ein. Sie trank ihn in einem Zug leer. Ich gönnte mir einen Schluck direkt aus dem Tetrapack, ging ins Schlafzimmer und holte die Kiste unterm Bett hervor. Dann kontrollierte ich eine Zeit lang mit dem Scharfschützengewehr die Strasse.
„Nichts zu sehen. Die Strasse ist clean… was man von dir nicht behaupten kann.“
„Aber das Schlimmste kommt noch, Matla. Dann habe ich noch etwas gesehen.“
„Und was?“ Ich nahm mir noch einen beherzten Schluck Rotwein.
„Ich habe meinen Namen auf dem Grabstein gesehen!“ Sie zitterte nun noch mehr, ich bekam Angst, sie würde sich in eine andere Dimension vibrieren. Ich musste sie beruhigen.
„Weißt du, ich hab auch was Komisches gesehen“, sagte ich, füllte ihr noch einen Becher Rotwein voll.
„Ich war heute mit den anderen Anstaltsinsassen essen. Mittwoch ist immer Schnitzeltag im Stüberl…“ Ich wartete kurz auf eine Reaktion, aber die Nachbarin hörte mir gar nicht zu. Ich fuhr fort:
„Ich habe beobachtet, dass es bei uns drei Arten von Schnitzelgesichtern gibt: die, die Kartoffelsalat dazu essen, die, die Pommes dazu essen und die, die Reis dazu essen. Zu welcher Art gehöre ich? Was glaubst du?“

Ich aas:
1 Zwiebelsuppe
1 Gordonblö mit Kartoffelsalat

Der Ostermörder

„Sein Kopf wird zerschellen!“ Das versprach ich gestern dem sterbenden Ei und ich werde den Mörder auch finden. Der Kreis der Täter kann eigentlich schnell eingekreist werden. Es muss jemand aus dem Haus sein. Die Nachbarin kommt dafür natürlich in Frage, der verwesende Körper der schon langen toten Hausmeisterin wohl kaum. Die anderen Bewohner kenne ich zwar nur vom Sehen: den Bobo von oben, der mich stets auf seiner Seite sehen will und mich permament unaufgefordert anspricht. Die Studentin, die Flötenunterricht gibt und, wenn man den Gerüchten glauben kann, gegen einen kleinen Aufpreis auch gerne mehr bläst als die Flöte. Die Familie mit den beiden Mädchen, die ich bisher nur im Laufschritt gesehen habe. Den Pensionisten, der sich einen halben Tag lang vom Erdgeschoß hinauf in seine Wohnung schleppt – wenn ich den auf der Stiege treffe und er völlig versteinert dasteht, stupse ich ihn an, um zu sehen, ob er noch lebt. Den ständig benommenen Typen mit den Dreadlocks. Und schließlich ein abgeleckter, etwas kleingeratener Typ in Anzug und Krawatte, der mit seinem Headset wie ein Kyborg aussieht. Aber trotzdem. Sie alle kommen in Frage, ihnen allen traue ich einen Mord zu.
Heute vormittag ist etwas passiert, das meinen Verdacht gegen die Nachbarin erhärten läßt. Ich war im Kaffeehaus und latschte gerade nach Hause, als ich von Weitem schon die Konturen der Nachbarin bemerkte. Seltsam sah sie aus, irgendwie aufgedunsen. Es war eigentlich gar nicht so kalt, doch sie war angezogen wie ein Astronaut. Eine dicke Pudelmütze tief ins Gesicht gezogen, eine Winterjacke, aufgeblasen wie ein Heißluftbalon, Fäustlinge, Rollkragen über den Mund und große Sonnenbrille. Aus der Ferne konnte man meinen, die Nachbarin würde jeden Moment ihre Ski auf die Füße schnallen und versuchen, damit den Hang herunterzurutschen. Sie kam mir entgegen, wechselte dann aber schlagartig die Strassenseite. Ich tat es ihr gleich, ich wollte mit ihr sprechen. Wieder wechselten wir auf den gegenüberliegenden Gehsteig. Sie versuchte, mir auszuweichen. Mit einem Sprung kam ich genau vor der Nachbarin zu stehen und sagte schnell:
„Schmeißt du Eier auf meine Tür?“
Die Nachbarin reagierte nicht, ja, sie sah mir nicht einmal in die Augen. Sie verzog ihre Lippen nur zu einem kurzen künstlichen Grinsen und schlüpfte dann an mir vorbei. Ich ließ die Nachbarin passieren und blickte ihr nachdenklich hinterher. Irgendetwas mußte sie unter diesem Anorak haben, er sah so aufgeblasen, so ausgefüllt aus!
Zuhause angekommen fand ich wieder ein Osterei vor meiner Wohnung. Diesesmal ein oranges. Es war wohl wieder gegen die Tür geschleudert worden, denn es hatte ein paar Sprünge. Ich konnte es nicht mitansehen. Schnell und heftig trat ich auf das liebe Ei, um es von ihren Schmerzen zu befreien. Die Leiche der toten Hausmeisterin wird das Ei wohl nicht wegputzen.

Ich aas:
1 Brot
1 Ei
1 Topfen
1 Käse

Nada mas

Was ist denn los? Hm? Was soll das?

Die wahnsinnige Wurstbetreuerin beim Billa macht meine Semmel ohne Handschuhe, nachdem ich ihr die Zutaten zuplärren mußte. An der Kassa unterhalten sich die Kassier-Damen auf klingonisch, alle Kassen- und Geschäftsalarmglocken läuten gleichzeitig und niemand hat Wechselgeld. Im Park werde ich von einem Hund angebellt. Auf der Straße überfährt mich fast ein übereifriger Paketdienstler und ich muß einen enormen Umweg machen, weil alle Zebrastreifen und Gehsteige verparkt sind.
Und zu allem Überdruß habe ich auch noch das Büro mit der Tiefgarage verwechselt.
Was soll das?

Ich muß dringendst beten. Und zwar das spanische „Vater unser“:

?Nada unser,
der du bist im nada,
nada sei Dein Name,
Dein Reich nada,
Dein Wille nada,….“

Ich esse in religiöser Verzückung:
1 heilige Semmel mit Extra, Santa Gouda und Gurkerl
1 grünen Blendamed-Apfel, an dem mein Zahnfleisch so gut haftet