Sport in der Closchüssel

So eine Beziehung zu seinen Schuhen muss reifen. Das geht nicht von heute auf morgen, einfach so, „schnipp!“ und man hat die neuen Treter akzeptiert, wie eine zweite Haut. Nein! Das musst du langsam angehen, mit Gefühl und Gespür.
Nach dem ersten Tag mit meinen neuen Sportschuhen, bin ich mit ihnen zuerst auf den Balkon eine rauchen gegangen. Schön gemütlich, habe dann draußen die Zehen eingerollt und wieder gespreizt, um mich in die ungewohnte Umgebung einzuleben. Habe mich von den Fußspitzen auf die Fersen abrollen lassen, bin auf den Fußkanten gestanden, dann wieder auf der ganzen Sohle, machte mir Gedanken darüber, ob ich nicht doch auch Socken tragen sollte und wenn ja, welche. Nylon, Baumwolle, weiß, schwarz, rot? Oder gelb?
Nach der Tschick habe ich meine neuen Sportschuhe wieder vorsichtig ausgezogen, die Schuhbänder glatt gestreift und sorgfältig eingerollt, und sie dann ins Regal gestellt. Danach bin ich noch ein paar Minuten vor ihnen stehen geblieben und habe mir vorgestellt, was sich wohl die Leute denken werden, wenn sie mich in diesen Schuhen auf der Straße sehen.
Ziemlich genau vierundzwanzig Stunden später habe ich meine neuen Sportschuhe dann zum ersten Mal auf die Straße gelassen. Schritt für Schritt bin ich mit ihnen um den Häuserblock gegangen. Habe dabei immer die Mimik und Gestik der entgegenkommenden Menschen beobachtet, um zu sehen, wie die neuen Schuhe ankommen. Die meisten reagierten angemessen respektvoll und zurückhaltend, sehr gut. Sehr oft musste ich mich jedoch über die Verunreinigungen des Gehsteigs ärgern. Was da alles an grindigem Auswurf der Menschheit herumliegt! Nicht nur einmal war ich genötigt, irre Haken zu schlagen, um Exkrementen und Sekreten auszuweichen! E-k-e-l-h-a-f-t! Wie kann diese Closchüssel von Wien nur zur lebenswertesten Stadt gewählt werden!
Letztendlich ging der Ausflug aber doch gut zu Ende. Meine neuen Sportschuhe und ich kamen heil und einigermaßen sauber, aber desillusioniert, nach Hause.

Ich aas:
2 Brot
2 Fetzen Extrawurst vom Kranzl

Im Morituri-Beisl

Düster ist sie wahrlich, die Stimmung im Morituri-Beisl. Dicker Samt, schwarz und muffig an den Wänden, knarrende Dielen, es riecht nach Vergangenheit. Nur noch Grablichter sind die flackernden Lampen, ja, Johannes, der Strom zu schwach, um den allesbedeckenden Grind des Rauches aus einem Jahrhundert durchdringen zu können. Die Möbel vom Wurm zerfressen, unbeholfen repariert, kaum ein Jahr werden’s wohl noch überstehen. Der Ölofen zu altersschwach, um Wirkung zeigen zu können, das Scheißhaus, eiskalt mit tropfendem Hahn, dient gleichzeitig als Kühlraum, der Wirt ist an die achzig Jahre alt, seine Glatze genauso schimmelig wie die zugigen Fensterrahmen. Sein Hund ist vor vierundreißig Jahren jämmerlich an einem Hühnerknochen erstickt. Es ist das Stammlokal der Totengräber.
In der Ecke sitzt Tag für Tag die dürre Alte. Unterm Tisch ihre Ratte, nur noch Haut und Knochen, kleines arrogantes Miststück. Und sie, die Alte, käsebleich, eine Perücke mit angesentem Kunsthaar, übersät mit unzähligen Blutergüssen, sie macht’s nicht mehr lang, trinkt nur koffeinfreien Kaffee, die Schatten der buckligen Totengräber wiegen schwer auf ihr. Und sie grinst sie an.
Der dicke, unsympathische Beamte vom nichtsnutzigen Magistrat, redet nichts, schaut nur und nimmt zum Menü, meist das Einser, zwei, drei Vierterl Weißen. Raucht und geht ab. Verabschiedet sich mit Handkuss und Hut, die Alte mag ihn nicht.
An den Wänden verblichene Fotos, man kennt sie nicht, die Leute. Fette, rotgesichtige Soldaten aus dem letzten Jahrhundert, mit bleichen, schwindsüchtigen Huren, singen besoffen zum Akkordeon, während ihnen der Schweiß in die Augen tropft, alle tot. Dann sind die Totengräber gekommen.
Die Kaffeemaschine war schon immer der Glanz des Morituri-Beisl. Unbekannte Technologie, ohne Marke, sie ist laut, sie dampft und zischt. Kaffee hilft, wenn man weiterleben muss. Und der Wirt weiß das.
Die Mutter kocht. Sie sollte schon längst gestorben sein, aber die Totengräber lassen sie nicht gehen. Seit über hundert Jahren die gleiche Rezeptur. Tritt ein und iss wie zu Kaisers Zeiten!
Als die Totengräber aufgetaucht sind, ist Leben ins Morituri-Beisl gekommen. Ein Leben, von dem keiner etwas wissen wollte. Goldzähne, Schwielen, der Geruch des Staubes, zu dem alles zerfällt. Der Dreck, aus dem die Menschen sind.
Das, was Raum und Zeit im Morituri-Beisl zusammenhält, ist die Pendeluhr. Sie tickt, unaufhörlich, unauslöschbar, unendlich weiter, langsam zwar, eine Sekunde ist eine Stunde im Morituri-Beisl, jeder Schlag resoniert in den Wurzeln der Erde, läßt Gottes Mark erbeben, man könnte kotzen. Sieh in die Pendeluhr und erstarre in der Zeit! Vergiss deine Seele, lass es die Totengräber tun! Morituri te salutant!

Ich aas:
den Krapfen, der gegessen sein wird.

 

Kinderlachen unter der Gruft

Ich bin eine arme Sau, was? Das ist alles, was ich noch habe. Den Rest habe ich am Wochenende weggefuttert. Ist aber auch kein Wunder. Schließlich hatte ich genug zu tun, die Kinder gegen die alte Schachtel von der anderen Seite des Hofs aufzustacheln.
Wenn die Kinder fröhlich spielen, das Wetter, die Ferien genießen, kommt die Alte auf ihren Balkon gerannt und meckert irgendwas herum. Die Kinder seien zu laut, sie machten alles kaputt, die Blumen würden niedergefetzt und blablabla.
Das Problem dieser Meckertante ist aber, daß sie verdammt langsam ist. Sie braucht mindestens zwanzig Sekunden, um aus ihrer Wohnung zu kreilen, davon fünf allein für die Überwindung des erhöhten Rahmens der Balkontüre. Ich stand Schmiere und pfiff, wenn ich die alte Hexe kommen sah. Dann sind die Kinder davon gelaufen und sie stand völlig umsonst am Balkon. Zupfte vielleicht bei der Gelegenheit an ihren Pflanzen herum.

Später habe ich den Kindern noch einen guten Trick erklärt. Die Alte nämlich spricht so leise, daß man sie leicht überhören könnte, also Kinder: einfach so tun, als wäre sie nicht da und weiterlärmen! Das hat prächtig funktioniert! Die Alte gab es nach einigen Minuten auf, irgendwas zu sagen.
Bin ich gemein? Nein.
Denn was ist schöner auf dieser grindigen Welt? Kinderlachen oder ranzige Grabesstille?

Ich aas:
1 Scherzerl Brot

Heiliges Wasser

Wenn es regnet, gehe ich gerne raus. So wie heute. Da ist diese verkommene Stadt so rein, alle Sünden und der Grind sind weggewaschen!
Der Abschaum bleibt zuhause und reine Seelen gehen zu Billa einkaufen.

Ich war ja heute praktisch den ganzen Tag im Freien. Habe die Werkbank mit den Kugelschreibern auf die Veranda verfrachtet und mich warm angezogen.
Es ist so schön, wenn es regnet. Ich stehe den ganzen Tag draußen, arbeite und lausche dabei dem Regen. Es ist so  beruhigend.
Einzige Ablenkung ist die alte rostige Regentonne. Hin und wieder löst sich ein kleines Tröpfchen von der kaputten
Dachrinne und plumpst in die Tonne. Das Tröpfchen erzeugt in dieser Regentonne solch überirdische Schwingungen, daß
wahrhaft sphärische Klänge ertönen, die das Universum nicht schöner hervorbringen könnte! Ich MUSS jedesmal, wenn das passiert, einfach zur Tonne gehen, eine zeitlang lauschen und dämlich grinsen. Dann gehe ich aber immer wieder
eifrig zu meiner Arbeit zurück!
Das wird eigentlich nur etwas stressig, wenn es stärker regnet. Denn dann mache ich das ungefähr zehnmal pro Minute.
Da wird mir schwindelig.

Ich esse – mit verklärtem Munde:
1 EKG
1 Apferl

Die heutige Installation nennt sich „Das letzte Abendmahl“. Man sieht die Speisen der zwölf Apostel: Wurstsemmerl, Apferl und Wein. Jesus, symbolisiert durch den alles erlösenden Flaschenöffner, ist das Fleisch.