Öffentlich fährt das Salzgurkerl

Ich beobachte mich. Seit gestern schaue ich mir zu und ich bin zu dem Schluß gekommen, daß an meinem traurigen Zustand eine dunkle Macht schuld ist. Und eine Manifestation der dunklen Macht sind die Wiener Linien (man denke nur einmal an Lord Entwader), welche ich leider benutzen muß, seit ich kein Auto mehr habe. Und du kannst dir ja ausmalen, daß U- und Straßenbahnfahren für mich, der ich doch so wenig Erfahrung  mit öffentlichen Verkehrsmitteln und sozialem Kontakt habe, sehr schwer ist. Darum versuche ich, meine Sinne zu betäuben, wenn ich mich zwischen den Menschen bewege. Mit iPod die Ohren, mit Buch die Augen, mit Mundschutz Geschmacks- und Geruchssinn. Funktioniert ganz gut. Aber nur bis zu einem gewissen Level. Niemand darf sich außerhalb meines Sichtbereiches befinden (schon gar nicht HINTER mir) und niemand innerhalb meiner Reichweite.
Das war gestern nicht so. Ich weiß nicht warum, aber die Transportmittel waren gestern gesteckt voll. Und zwar so voll, daß ich von Menschen berührt wurde. Und obwohl ich den iPod mit voller Lautstärke laufen hatte und mir das Buch ziemlich nahe vor die Augen hielt, konnte ich mich nicht konzentrieren. Ich hatte so ein Gefühl, als würde jeden Moment irgendetwas passieren. Nicht etwa, daß die Straßenbahn in einem gigantischen Feuerball explodieren würde oder endlich die Sintflut kommen und die U-Bahntunnels fluten könnte. Nein, nein. Es war mein Instinkt, der die Musik in meinen Ohren und das Buch vor meinen Augen verschwinden ließ. Ich war auf der Hut. War auf jede nur mögliche Anomalie in dieser schleimigzähen Menschenmasse gefaßt. Auf plötzliche Messerattacken, Mütter, die ihr Baby beschützen wollen und die Pumpgun aus den Kinderwagen ziehen, Obdachlose, die mir in den Kragen kotzen, Regierungsbeamte, die mich exekutieren müssen, Schwarzkappler, die eine Fahrkarte wollen, Taschendiebe und so weiter. Alle meine Sinne standen Wache.
Doch die Fahrt vom Rattenloch zu mir nach Hause dauert fast eine Stunde. Und eine Stunde immer am Sprung sein, ständig bereit zu töten, das kostet Kraft. Deshalb habe ich dem Mechaniker gesagt, er soll mein Auto reparieren. Es war gar nicht schwer, etwas zu finden, das ich ihm an Stelle von Geld geben kann. Nächste Woche kann ich wieder mit dem Auto fahren. Sollte es mir dann nicht bald besser gehen, liegt der Zustand an etwas anderem. Die Kontemplation jedenfalls geht weiter.

Ich aas in der hoffnungslos überfüllten Cantina des Rattenlochs:
1 Mohnding mit Käse und Senf
1 Salzgurkerl
1 Nestea

Lord Entwader!

Ich irre jetzt, da ich kein Auto mehr mein Eigen nenne, zu Fuß in der Gegend herum. Mir sind dabei schon ein paar merkwürdige Dinge aufgefallen:

  1. ich kann meine Schuhbänder nicht richtig binden. Sie gehen alle paar hundert Meter auf. Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.
  2. die Menschen werden von Jahr zu Jahr häßlicher
  3. Wien stinkt
  4. die Wiener Linien sind auf der dunklen Seite der Macht. Sie versuchen das auch gar nicht zu verbergen. Sieh nur! So sehen ihre Entwerter aus:

Eindeutig! Ein Entwerter mit Lord Vaders Helm! Lord Entwader!

Ob ich das, was du am Foto siehst, essen werde, weiß ich noch nicht. Es liegt zwar schon vor mir, aber mir ist eigentlich mehr nach Wein, Wein, nur du allein:
1 Brot
1 Aufstrich
1 Käse
1 Apferl KRONPRINZ RUDOLF

Nachtrag 15:24:

Der allseits verehrte Johannes „Meister Gimp“ Nedso.org, Gimpkünstler und Schaf in einer Person, hat mir eine Grafik angefertigt, die meine Horrorvisionen in der Straßenbahn genau verbildlicht!

Danke, Johannes. Heute Nacht werde ich lieber nicht schlafen.