Rattenloch III

(Inhaltsverzeichnis)

Den anderen menschlichen Kontakt im Rattenloch pflegte ich am Clo. Ein Mann, der beim Pinkeln pfiff. Kennst du Zamfir? Genauso konnte der Typ pfeifen! Mit dem Unterschied nur, dass er nicht die Panflöte, sondern seinen Schwanz in der Hand hielt. Versteh mich nicht falsch, die Pfeifgeräusche erzeugte er natürlich schon mit seinen Lippen.
Die Melodien waren eine Freude für die Ohren. So berührend, Tränentreiber, verträumt, harmonisch! Hörte man seine Kunst, fühlte man sich in einen bezaubernden Wald versetzt, der wie starkduftende Toilettenluftaufwerter mit picksüßem Kieferngeruch roch. Während er pfiff, wanderte man durch diesen endlosen Wald, traf knurrige Zwerge, nuttige Elfen, streichelte kleine, doofe Häschen, bei denen man Lust bekam, ihnen den Hals umzudrehen, und beobachtete die herumschwirrenden Mücken in der Sonne. Es trieb dir den Alltag aus den Knochen. Ich liebte Zumpfirs Gepfeife! Zumpfir, so nannte ich ihn insgeheim.
Wenn er beim Pinkeln ein Konzert gab – und man weiß ja, dass die Akustik am Scheißhaus hervorragend ist -, zögerte ich meine Cloaufenthalte künstlich und möglichst unauffällig in die Länge, nur um ja keinen einzigen Ton zu versäumen. Meist machte ich das, indem ich nach meinem Geschäft besonders intensive Waschungen durchführte. Ich seifte mir die Arme bis über die Ellbogen mit viel Schaum großflächig ein und wusch mich dann langsam und sorgfältig ab, ohne viel Sauerei zu hinterlassen.
Eines Tages sprach mich Zumpfir dabei an: „Sie waschen sich ja immer äußerst gründlich! Das ist gut zu wissen. Ein Mensch, dem man gerne die Hand reicht!“ Zumpfir lachte ziemlich laut, aber allein, über seinen Witz. Beim genaueren Betrachten im stark ausgeleuchteten Waschbereich fiel mir seine auffällig abstoßende und seltsam glänzende kleine Stupsnase auf. Zumpfir pfiff herrlich, aber war potthässlich und noch dazu äußerst unsympathisch. Ich seifte mir auch noch meine Nase ein und wartete auf Zumpfirs Reaktion. Der verließ aber bloß lachend, kopfschüttelnd die Toilette. Ich sah mich im Spiegel, mit dem von Seife weißen Gesicht und dachte an einen Eisbären.
Seit dieser Begegnung unterbrach Zumpfir seine Kunstpfeiferei, sobald ich auf die Toilette kam, um mit mir zu plaudern. Smalltalk versaut einem wirklich alles.

Rattenloch II

(Inhaltsverzeichnis)

Vor einigen Jahren musste ich im Rattenloch sogar mehrere Monate durchgehend arbeiten. In einem Raum, der anderthalb mal drei Meter groß war, verbrachte ich den Sommer. Es gab an den Wänden zwar dünn verglaste Öffnungen, die in andere Räume gingen, doch sie waren zu hoch oben, als dass ich hätte durchschauen können. Ich sah nur unheimliche Schatten, die die Körper der anderen armen Hunde in den angrenzenden Zellen an die Decke warfen. Ich schuftete damals viel in diesem Raum, kannte aber sonst keinen dort. Die Arbeitsinstruktionen bekam ich über Telefon, das Geld lag in regelmäßigen Abständen in einem orangen Kuvert in der Lade. In diesem Sommer war ich ein Gefangener in Einzelhaft.
In all den vergeudeten Tagen, die ich im Rattenloch verbrachte, kam es jedoch auch zu dem einen oder anderen Kontakt, sozusagen sozialer Art. Das erste menschliche Wesen, mit dem ich im Rattenloch interagierte, war meine Zellennachbarin – ja, ich hab‘s mit den Nachbarinnen. Es war ein heißer Tag, die Luft war zum Schneiden, ich saß mit nacktem Oberkörper in meinem Raum. Es war egal. Sowieso hatte noch nie jemand während meiner Anwesenheit den Raum betreten. Worüber ich nicht unglücklich war. Als auch schon die Tür einen Spalt aufging und ein Arm hereinkam und sich an den Reglern der Klimaanlagen, die in jedem Raum an derselben Stelle gleich neben dem Türrahmen waren, zu schaffen machte.
„Kaputt.“, sagte ich leise, um den Arm nicht zu erschrecken.
Plötzlich erschien über dem Arm ein Kopf, der mich seltsam prüfend ansah. Weiblicher Humanoid.
„Oh!“, sagte die Frau und schob ihren restlichen Körper ins Zimmer.
Ohne den Blick von dem Eindringling zu wenden, griff ich instinktiv nach meiner Sonnenbrille und schob sie mir langsam ins Gesicht.
„Ich wusste nicht, dass hier jemand arbeitet.“, wunderte sich die Frau. Sie stand da mit einem Pullover, fingerlosen Handschuhen und Ohrenschützern: „Tschuldigung. Ich wollte nur ihre Klimaanlage aufdrehen. Meine bringt mich um. Es ist saukalt bei mir drüben. Vielleicht nutzt das was und meine Klimaanlage arbeitet dann weniger stark.“
„Also mir is grad richtig.“, gab ich zurück und kratzte mir die linke Brustwarze.
„Das sehe ich. „, sagte die Frau, während sie meinen bleichen Bauch anstierte. „Naja, tut mir leid. Wollte nicht stören. Auf Wiedersehen, Nachbar.“ Sagte es und verließ das Zimmer. Ich erschrak etwas. Sie betonte das Wort „Nachbar“ zu intensiv. Es klang fast wie eine Drohung. Ich dachte an meine Nachbarin von zu Hause.
Ein paar Minuten später tauchte sie wieder auf. Ich hatte mir mein T-Shirt angezogen, irgendwie ahnte ich bereits, was kommen würde. Die eben erst kennengelernte Kollegin betrat erneut, unaufgefordert, meine Zelle. Jetzt ohne ihren Pullover. Sie hatte etwas Kurzärmeliges an und irgendeine Tube in der Hand. Sie baute sich erschreckend nahe vor mir auf, drückte mit ein paar ziemlich lauten Furzgeräuschen massig Salbe aus der Tube und begann sich die Arme einzucremen.
„Also wirklich. Bei Ihnen ist es sowas von angenehm! Darf ich mich ein bisserl aufwärmen bei Ihnen?“
„Ja gut. Die Klimaanlage soll diese Woche noch repariert werden. Dann wird’s hier auch schnell kalt sein. Eiskalt.“, sagte ich, nur um irgendwas zu sagen. Ich hatte überhaupt keinen Bock auf ein ernsthaftes Gespräch.
„Wie heißen Sie eigentlich? Sind sie neu hier?“, fratschelte sie mich aus. Ich hasse Smalltalk.
„Ach nein, ich arbeite hier schon seit rund fünfzehn Jahren. Ignaz Ficker mein Name. Sehr erfreut.“, erfand ich, stand, über meine phantastisch kreative Spontanität verwundert, auf, reichte der Nervensäge die Hand, indem ich mich weit vorbeugte, um keinen Schritt machen zu müssen, und setzte mich wieder. Auf einmal schoss mir eine seltsame Müdigkeit in die Knochen.
„Sehr erfreut! Ich heiße Rosenlieb.“, stellte sich die Frau vor. Sie erwartete wohl irgendwas von mir, denn sie stand da und sah mich an.
„Hören Sie mich vielleicht manchmal miauen?“, fing Frau Rosenlieb plötzlich an.
„Nein.“
Ich wollte es kurz machen und drehte mich weg.
„Da bin ich aber froh!“, lachte die Frau, „Wäre mir nämlich ein bisschen peinlich. Wissen Sie, es ist nämlich so. Ich hab zu Hause ein liebes Kätzchen und das sitzt dort den ganzen langen Tag und wartet auf mich. Alle paar Stunden ruf ich meinen eigenen Anrufbeantworter an und rede mit dem Kätzchen – man kann nämlich mithören, wenn jemand auf den Anrufbeantworter spricht. Und ich miaue dann und sag liebe Sachen zum Kätzchen.“
Sie hörte auch die nächsten Minuten nicht auf, von ihrer Scheißkatze zu reden. Ich mag Katzen nicht und Frauen, die von Katzen reden, schon gar nicht. Zum Glück entdeckte ich etwas, was mir zuvor nicht aufgefallen war. Genau hinter dieser endlos redenden Person befand sich ein Fluchtplan des Gebäudes! Noch während Frau Rosenlieb mir von ihrem Vieh vorschwärmte, stand ich auf, stellte mich vor sie und blickte über ihre rechte Schulter hinweg auf den Fluchtplan. Sie versuchte immer wieder mit mir Blickkontakt aufzunehmen, indem sie ihre Position korrigierte, doch ich war schon zu sehr auf den Fluchtplan konzentriert und ließ ihn nicht mehr aus den Augen. Ich dachte mir, wenn die Alte nicht bald verschwand, würde ich den rot eingezeichneten Fluchtweg im Laufschritt nehmen und nie wieder zurückkehren.
Ein paar Minuten versuchte Frau Rosenlieb mit mir noch etwas Smalltalk. Ich erlog mehr unzusammenhängendes Zeug, bis sie schließlich das Interesse am Gequatsche verlor. Sie sagte, sie freue sich über einen neuen Nachbarn. Es sei so einsam hier. Frau Rosenlieb verließ schließlich meine Zelle. Ich hoffte inbrünstigst, ich würde sie nie mehr wiedersehen müssen!
Gleich danach suchte ich mir die Telefonnummer der Haustechnik raus und meldete meine kaputte Klimaanlage, mit der Bitte diese möglichst schnell zu reparieren.

Die mit der Katze spricht

Im Nebenraum hier im Rattenloch sitzt ein weiblicher Androide. Sie ist nett – wir haben uns gestern etwas unterhalten. Sie hat mich gefragt, ob ich sie öfters miauen höre. Natürlich habe ich das – ich habe mir nie etwas besonderes dabei gedacht. Sie hat mir erklärt, daß sie ihre Katze ein paar mal am Tag anruft und mit ihr spricht. Die Katze sagt dann immer „Mama!“ – ich soll sie bitte nicht für verrückt halten. Nein, nein – habe ich gesagt und ihr erklärt, daß ich unter Persönlichkeitsspaltung leide und für diese meine Persönlichkeiten einen Mittagessen-Weblog veranstalte, damit es zumindest einen gemeinsamen Kontext gibt. Das ist Smalltalk wie ich ihn
schätze!
Ich hätte jetzt außerdem auch gerne ein Tier, das ich zuhause anrufen kann, um mit ihm zu sprechen. Ich werde mich wahrscheinlich für ein Aquarium entscheiden – mit Fischen. Da brauche ich beim Telefonieren keine Geräusche zu machen – ich muß nur die Fische anrufen, ein paar Minuten den Hörer halten und dann wieder auflegen. Optimal.

Ich esse:
1 Dose Kürbiskernaufstrich – weils gestern so gut war
2 Dreisaatweckerl
1 Packung Sirius Camembert
1 Kronprinz Rudolf Apfel