Wien I

(Inhaltsverzeichnis)

Was für ein herrlicher Tag! Ich fahre mit dem Rad ins Rattenloch, die Strecke ist perfekt. Am Morgen meist im Leerlauf der aufgehenden Sonne entgegen, am Abend mit einer letzten Anstrengung direkt in den Untergang.
Von meiner Wohnung aus geht’s zuerst ein paar Häuserblöcke bergab. Ich steig voll rein! Jage die Straße runter! Geil! Nichts und niemand kommt mir nach. Freiheit! Ein kurzer Blick nach rechts, da sah ich vor zwei Jahren einmal ein Paar Titten im Fenster hängen. Ein kurzer Blick nach links oben, wo der Arsch wohnt, der mir Kratzer ins Auto reißt. Vorsicht, Straßenbahn! Hätte Nachrang, aber wen kümmert schon ein armseliger Hund auf seinem verreckten Drahtesel. Unten angekommen mit Vollgas in den Frühverkehr. Autos, Straßenbahnen, Menschen, alles kreuz und quer. Irrsinn! Ich winke den Kindern aus der Nachbarschaft zu. Die laufen in Anbetracht der nahenden Sommerferien nun schon hoffnungsvoller zur Schule. In die Seitengasse, Abkürzung. Vorbei am Haus des Fiakers. Manchmal fährt er grade raus, Richtung Innenstadt, dann häng ich mich hinten an und lass mich ganz gemütlich ein Stückchen ziehen. Obwohl alles nach Pferdescheiße stinkt, ist der Kutscher sehr freundlich. Spätestens in der Straße mit den vielen Geschäften trennen sich unsere Wege. Kopfsteinpflaster, ich poltere darüber hinweg, der Talg rinnt mir aus den Poren. Ich fahre zwischen den kreuzundquerparkenden Lastwagen der Lieferanten durch. Einer schenkt mir hin und wieder ein Kipferl aus der Retourware, ich hab ihm mal im Winter geholfen. Wenn er kein Kipferl hat, grüßen wir uns im Vorbeifahren.
„Heeeeeyyyyy Matla!“
„Heeeeeey LKW!“
Dann kommt der Schleichweg durch das kleine Grätzl mit engen Gassen und einfachen alten Fassaden. Ein kühles Lüftchen, Wäsche hängt zwischen den Häusern. Es kommt mir vor, als wäre ich irgendwo im Süden. Eine gute Gelegenheit, um mir den Schweiß aus den Speckfalten zu wischen. Dort sehe ich auch öfters vor dem heruntergekommenen Haus ein altes Weib ohne Zähne sitzen, die dem Ewigbesoffenen mit Strohhut und kalter Tschibuk erlaubt, ein bisschen seinen Kopf in ihren Schoß zu legen.
Vorbei an den Hinterhöfen des Krankenhauses. Seltsamer Geruch. Ich stelle mir vor, wie dort in der Hitze des Sommers die amputierten Gliedmaßen verfaulen. Und dann, ja dann kommt der Ort meines höchsten Glückes: mein Arbeitsplatz, der G-Punkt meines Lebens, das Scheißrattenloch. Da binde ich das Fahrrad an eine Laterne, gleich neben dem Mistkübel, den ich manchmal benutze, wenn mein Kreislauf zusammenbricht und ich kotzen muss. Bevor ich ins Rattenloch gehe, drehe ich mich noch einmal um. Es stimmt. Ich liebe diese Stadt. Wien. Mein Zuhause.
Es kommt mir alles wie in einem lächerlichen Heimatfilm vor.

Chefe Cholera

Ich bin nicht in der Anstalt, um irgendetwas Bestimmtes zu tun. Scheinbar genügt es, dass ich anwesend bin. Niemand fragt, wie es mir geht, wo wir stehen oder wann ich fertig bin. Niemand. Ich erinnere mich, dass ich zu Beginn ein Gespräch mit einem dicken kleinen Typen mit luchsartigen Haarbüscheln in den Ohren hatte. Er hat mir ganz aufgeregt und enthusiastisch meinen Aufgabenbereich erklärt. Ich habe zwar kein Wort verstanden, weil er so herumgehudelt hat, ich wollte aber nicht unhöflich sein und nachfragen. Er hat auch sehr cholerisch gewirkt, darum werde ich ihn irgendwann in die Weltuntergangsmaschine stecken müssen. Spätestens dann, wenn er wirklich einmal kommen und fragen sollte, wann ich fertig bin und ich ihm sagen muss, dass er mir das alles nochmals erklären soll. Ich habe schon mit der Putzfrau über ihn geredet… ich weiß nicht mehr, wie wir darauf gekommen sind… aber sie hat mir interessante Dinge aus seinem Mistkübel gezeigt. Sie hat das kommentiert mit: „Chefe imma Terrorist, in alle Firma.“

Ich aas:
1 Packung Hummus

Weltuntergangsmaschine

Hervorragend. Ich habe in der Anstalt die Weltuntergangsmaschine gefunden. Diese ist ungefähr so groß wie eine Mülltonne, ganz aus silbrig glänzendem Metall und beschriftet mit: „Vollständige Vernichtung von allem – mit 100% Sicherheit“ Geil oder? Ich hab auch schon erste Versuche angestellt. Papierschnitzel sind weg wie nix! Papierteller… weg! Kugelschreiber… weg! Da hörst du nur Schnatter-Schnatter-Schnatter und… weg! Selbst der eine Socken gestern, den ich zu viel anhatte… weg! Spurlos verschwunden! Bei einem Kaffeelöffel klingt das Ganze zwar schon etwas anders… Knirsch-Knirsch-Knirsch… aber trotzdem… auch er… weg! Ein Kaffeelöffel einfach dieser Welt entfleucht!
Das nächste Ding, das verschwinden wird, ist übrigens ein Besen. Ich weiß mittlerweile, wo die Putzmittel versteckt sind und wie ich in diesen Raum komme… ich stell mir das wie bei Soletti vor… Knabber-Knabber-Knabber und der Besen ist weg. Und irgendwann werden die ersten Mitarbeiter verschwunden sein… zuerst die, die jedem Menschen zu Mittag ihr „Mahlzeit“ aufzwingen. Dann die Scheiß-„Guten Morgen“-Grüßer und schließlich der Rest. Wenn ich Glück habe, entsteht dort irgendwann so eine Art Schwarzes Loch und es beginnt sich alles selbst zu verschlucken… hm, mal sehen. Muß man langsam angehen.

Ich aas:
1 EKG
2 KitKat mit drei Espresso

Reh-A Suppe

Reh-A von Johannes

Danke, Johannes! Danke für dieses sehr aussagekräftige Endzeitbild zum Thema Reha. Es macht mich sehr glücklich, denn es drückt schön die dazu passende Untergangsstimmung aus. Das Reh, wie es da steht und dem Tode ins Auge blickt. Dem Tod, der überall lauert… im Gras und im See… und um nichts weniger auch in Buchstaben.

Die Nachbarin übrigens hat die Reha beendet. Mich macht das ganz nervös, weil ich jetzt nicht weiß, wo ich tagsüber hin soll… sie stellt ja alles auf den Kopf und löchert mich noch dazu unablässig mit Fragen: „Warum stellst du die leeren Flaschen aufs Fensterbrett? Warum stellst du die vollen Müllsäcke alle ins Vorzimmer? Warum liegt am Boden deine dreckige Wäsche? Warum baust du mit schmutzigen Häferln Türme im Waschbecken?“ Und so weiter. Die ganze Zeit geht das so. Seltsamerweise suche ich jedes Mal, wenn sie mir so eine Frage stellt, nach einer Antwort. Es gibt ja genug Gründe, warum ich so handle… naja, im Grunde ist der einzige Grund der, dass ich Dinge, die sich nicht bewegen, einfach nicht wahrnehme. Das ist mein Jagdinstinkt. Angeboren. Steckt einfach in mir drin.  Aber die Nachbarin erwartet gar keine Antworten. Nein, sie erwartet sich eine Art Zeitreise! Von mir! Sie will, dass ich sofort aufspringe und alles so abändere, dass ihre Frage einfach nie gestellt werden hätte müssen!

Außerdem… sie kocht ständig. Darum aas ich heute:

1 Suppe

 

Das Dilemma II

Machen wir mit unserer Dilemmaanalyse doch einfach weiter! Einer Analyse, die auf Grund meines Desinteresse für Politik und Wirtschaft nur oberflächlich – und wahrscheinlich auch falsch – sein kann… und für viele sicherlich auch eine zu einfältige Sicht der Dinge.
Wir haben bisher festgestellt, dass die Bewohner des Planeten Erde in einem Wirtschafts- und Wertesystem feststecken, das kontraproduktiv ist, denn die Erde bietet schlicht und einfach nur eine begrenzte Menge an Ressourcen, und menschliches Fehlverhalten wie Neid oder Gier hervorbringt.
Doch halt! Wo sind die Führer der Menschen? Die gewählten wie die nicht gewählten? Sollten sie nicht Änderungen, tiefgreifende, herbeiführen, um das Leben aller Menschen zu verbessern? Gibt es wenigstens einen, der so etwas wollte? Wo?
Mir kommt es so vor, als lebten wir in einer „Kryptokratie“. Ich weiß, es klingt etwas sehr nach Verschwörungstheorie, aber ist es nicht so: wir wissen nicht, wer wirklich die politischen Fäden in der Hand hält, wer die Richtung vorgibt. Es existieren zwar politische Konstrukte, wie Staaten und Bündnisse, Wahlen, Volksabstimmungen, Diktaturen, Königreiche usw., aber regiert in Wahrheit nicht das Geld? Die Gier mächtiger Konzerne, die alles aufkaufen, was sie nicht vernichten können, die Politiker mit Geld steuern? Wirtschaftliche Abhängigkeiten, die man einfach erfüllen muss, um dieses System weiterhin künstlich am Leben zu erhalten?
Ja, wir wählen! Und? Was verändert sich? Wenn wir die politischen Systeme grob in zwei Hälften teilen wollen: links und rechts. Trampeln die Linken, die bisher die stärkeren Parteien gestellt haben, nicht schon seit Jahrzehnten auf der Stelle? Haben sie sich nicht schon längst mit diesem wahnsinnigen System verbrüdert? Und die Rechten? Mit ihren kurzfristigen und -sichtigen Lösungen!
Wohin dieser Irrsinn führt, sieht man in der ganzen Welt. Lächerliche Kasperln als Präsidenten, Ausbau von Überwachung, Demontage von demokratischen Grundideen, Hetze, Hass, Schüren der Ängste, immer mehr Gesetze für nichts, Korruption, usw. usf.

Fazit: der Zustand der Welt ist dermaßen lächerlich einfach als ein katastrophaler zu erkennen, dass ich sagen kann, wir laufen mit offenen Augen in den Untergang und strengen uns dabei auch noch richtig an.

Matla, was ist die Lösung aller Probleme der Menschheit in deinem Hirn?

Ich aas:
1 Kornspitz mit EKG

Untergang durch Comcons im NeuCom

Bravo. Die abgespaltene Kommentierpersönlichkeit Johannes van der Furzen hat den Inhalt meines SciFi-Romans völlig offen gelegt. Jetzt kann ich ihn vergessen. Den Ruhm… jetzt bleibt wie immer nur der Rum. Ohne stummen Ha… dafür mit einem lauten Haha.
Tatsächlich wäre in meinem Roman am Ende einfach nichts herausgekommen. Gar nichts… oder zumindest keine Lösung. Denn es hätte sich im Laufe der Geschichte herausgestellt, dass es auf dieser Welt – nennen wir sie „Dreck“… nein, nicht so schmutzig… nennen wir sie „Humus“ – ein unglaublich technologisch ausgefeiltes, den ganzen Planeten überziehendes Kommunikationsnetz namens Comnet gibt – man stelle sich das vor! Und die degenerierten Bewohner dieses Planeten, gefesselt an ihren Visorstühlen… ja, und das ist das, was Van der Furzen bereits im Kommentar gesagt hat… anstatt also sich zu erheben, um die Probleme mit vollem Einsatz zu lösen, bleiben sie in ihren Visorstühlen picken und schreien und beschimpfen sich zunächst per kurzen Textnachrichten „virtuell“ an. Als selbst das zu umständlich und zeitraubend wird, wechselt man auf ein paar Hundert Symbole, die ausreichen, um alle Sachverhalte darzulegen. Diese Symbole bestehen aus bunten Gesichtern mit unterschiedlich dargestellten Emotionen, Figuren in diversen Tätigkeiten und einigen Gegenstände. Man nennt das „NeuCom“. Schließlich verbietet man der Einfachheit halber die alte, „normale“ Sprache, um  nur noch mit diesen Symbolen, Comcons genannt, im NeuCom zu kommunizieren. Während das alles innerhalb weniger Jahre passiert (und es passiert immer schneller), verbringt unser Held Matla die meiste Zeit beim Brandinesa. Immer mehr alleine, immer mehr mit sich selbst sprechend. Schließlich wird er vom Staatssicherheitsapparat bei dem illegalen Versuch erschossen, den Mund aufzumachen. Währenddessen fallen auf die Stadt die ersten Atombomben, weil irgend jemand mit zuviel Macht und altersschwachen Augen die Comcon-Symbole für Rakete und Penis verwechselt hat.

Tja, ich aas:
1 Plastikschachtel mit Reis und Huhn

Untergang durch Comcons im NeuCom

Schnee III

>> Schnee Teil I

Ich habe sie gehasst, die Berge. Habe nie verstanden, warum der Pfarrer uns in der Schule immer vorleierte, dass die guten Menschen nach oben kommen und die Bösen nach unten zum Beelzebuben. War doch selbst für mich als Kind völlig klar: ich war bereits hier oben in der Hölle und ins Paradies ging’s steil bergab.
Eine meiner frühesten Kindheitserinnerung setzt an einem warmen Sommertag ein, an dem die Welt untergehen sollte. Seit einer Woche redeten die Leute im Dorf schon davon, dass die Trotteln vom Tal glaubten, die Welt würde an dem und dem Tag um zwei Uhr Nachmittags untergehen. Wir Kinder erzählten uns gegenseitig, was wir daheim so mitbekommen hatten. „Es wird Blut regnen“ – mir fielen ein paar Binden ein, die ich am Tag zuvor in einem Mülleimer gefunden hatte – „Die Sonne wird im Westen aufgehen“, „Nein, die Sonne wird ja explodieren“, „Die Heuschrecken werden uns auffressen!“, „Der Teufel wird uns ins Essen scheißen!“ Mich jedoch interessierte besonders eine Prophezeiung: „Die Berge werden so flach wie Teller werden und die Täler im Wasser versinken!“ Die Berge flach? Das gefiel mir. Das Paradies rückte ein Stück näher!
Ich weiß noch, wie ich an besagtem Tage am Dorfplatz stand und mit offenem Mund auf die große Uhr am Kirchturm starrte. Je näher die Zeit des Weltuntergangs rückte, um so heftiger pochte mein Herz. Ganz gespannt beobachtete ich den Himmel, um die ersten Vorboten der Zerstörung ja nicht zu versäumen. Irgendwie erwartete ich etwas ganz Spektakuläres. Einen riesigen Hobel…. oder einen großen Schnitzelhammer, der die Berge flachklopfte… einen feuerspeienden Drachen… irgendwas! Ich für meinen Teil war bereit für das Paradies!
Als der Untergang eine Viertelstunde überfällig war, ging ich enttäuscht und mit schmerzendem Genick nach Hause. War wohl vorerst nichts mit dem Paradies. Ich blieb in der Hölle.

Ich aas:
1 Brot mit Leberaufstrich und Senfverzierung

Menü 2012

Ich war am Wochenende mit der Nachbarin in der Videothek. Sie hat mich zum Fernsehen eingeladen und ich durfte mir den Film aussuchen. Weil ich sowieso nicht weiß, welche Filme zur Zeit gespielt werden und welche davon gut sind, habe ich mir eine DVD geschnappt, die mir auf Grund des Titels gleich aufgefallen war. 2012. Mit der Zahl 2012 verbinde ich schon seit vielen Jahren das Thema Weltuntergang. Schon immer hat mich der Gedanke an die vollkommene Zerstörung der Zivilisation Kraft und Hoffnung gegeben. Das Wissen, dass in gar nicht langer Zeit alles den Bach runtergehen wird, erhält mich am Leben.
Und tatsächlich handelt dieser Film vom Ende der Welt, wie wir sie kennen. Noch nie habe ich dermaßen geile Effekte gesehen. Noch nie habe ich einen dermaßen dämlichen Film gesehen. Wenn der Regisseur einfach drei Stunden destruktive Effekte gezeigt hätte, keine Geschichte, nur Zerstörung, hätte mir das Ganze besser zugesagt. Nach dem Ende des Filmes zu wissen, dass einfach alles, der ganze Planet, die ganz Menschheit, ausgelöscht ist, das hätte mich glücklich zurücklassen, gut einschlafen lassen. Doch so! Dieses Ende! Der ganze Sud der Menschheit überlebt in drei Schiffen! Ein Haufen degenerierter Superreicher und seniler Politiker überlebt den Untergang der Welt! Was soll dann denn danach werden? Sie werden sich gegenseitig auffressen und zu Tode quatschen! Kotz!

Ich aas:
1 Weltuntergangsmenü, natürlich mit Topfen

Verhackertes im Frühling

Wie die letzten Zuckungen einer dem Untergang geweihten Sonne quetschten sich ein paar jämmerliche Strahlen durch die düsteren Wolken, als ich die staubige Strasse entlang ging. Ein ausgehungerter Vogel saß frierend auf einem dürren Ast und pfiff mir das Lied vom Tod. Heulend fuhr ein eisiger Wind mir durchs knackende Gebein. Der alte Bäcker kam mir entgegen, er grinste wie ein auf Aas lauernder Geier, sein Goldzahn blendete mich. „Grüß Gott!“, rief er und dachte sich: „Der Teufel soll dich holen.“
Ja, heute türmen sich die Häuserfronten bedrohlicher und enger denn je neben mir auf. Der Feinstaub des scheintoten Winters frißt sich durch meine Lungenflügel, auf der mühevollen Suche nach saftigen, gesunden Zellen – ich versuche mit den kläglichen Resten der ausgebrannten Tschick zu retten, was zu retten noch ist. Bei jedem Windstoß verliere ich einen Büschel Haare, Tränen sind das einzig Lebendige in meinem Gesicht. Ich kann nicht anders, ich denke an zerhackte Leiber, überfahrene Frösche, blutige Leichen, abgehackte Köpfe und zuckende Gedärme. Der Frühling wird sie nicht retten.

Ich aas:

Brot und Verderb

Seit einigen Tagen habe ich es wieder. Dieses Gefühl der Leere. Es wird immer stärker. Mir entzieht sich der Sinn meines Daseins nun vollkommen. Meine Handlungen verlieren Sinn, meine Nichthandlungen ebenso.
An solchen Tagen krame ich oft die Kiste, die unter meinem Bett verstaubt, hervor und spiele mit den alten Sachen. Da ziehe ich zum Beispiel den Sicherungsstift der Granaten raus, klemme mir die Dinger unter den Hals und gehe pinkeln. In solch riskanten Situationen merke ich dann noch am ehesten, wie sehr mir noch an diesem Leben liegt. Ich meine, es wäre so einfach! Eine kleine Zuckung mit dem Kopf, eine kleine falsche Bewegung nur, bewußt unabsichtlich oder unbewußt absichtlich oder durch einen kleinen schmerzhaften Stich beim Pinkeln verursacht, und es gäbe in Wien einen skurillen Todesfall mehr.
Gestern spazierte ich auf den nahen Weinberg. Die untergehende Sonne durchfuhr mich mit ihren ätzenden Strahlen, der Wind zerwutzelte unerbitterlich meine Haare und zwang die Wiese langgezogene Wellen zu schlagen. Doch rasch, zu rasch, wandelte sich die Welt. Bot sich mir gerade eben noch ein halbwegs annehmbares Bild der Realität, änderte sich plötzlich alles zu einem grausigen Schauspiel des Untergangs. Nicht mehr Wind und Sonne waren die treibende Kraft in der Natur, sondern eine Druckwelle aus Flammen und Müll. Ausgehend von irgendeinem aufgestossenen Höllentor im Südosten von Wien strömte Tod und Verderben über die Welt. Mir wurde schlecht. Daher ging ich nach Hause.
Und wie du siehst, ist noch etwas Lebenswille in mir. Denn ich sitze hier und schreibe dir, daß der Sicherungsstift nach dem Pinkeln wieder seinen Weg zurück in die Granate fand.

Ich aas:
1 Brot
1 Rotwein, der nach vier Tagen schon etwas säuerlich schmeckt.